Frankreich
André Vauchez
Balzan Preis 2013 für Geschichte des Mittelalters
Das Werk des Mittelalterhistorikers André Vauchez ist von bemerkenswerter Kohärenz. In seinem Mittelpunkt steht das Phänomen der Spiritualität, das die Mentalität des Mittelalters im Westen zutiefst geprägt hat. Mit souveräner Kenntnis beleuchtet Vauchez die vielfältigen Aspekte der Spiritualität im Spannungsfeld von religiöser Institution und Volksfrömmigkeit und zeigt insbesondere ihre Verwurzelung im mittelalterlichen Alltagsleben.
Mit seiner Darstellung La spiritualité du Moyen Âge occidental (1975), seinen Studien zur Heiligenverehrung in La sainteté en Occident aux derniers siècles du Moyen Âge (1198-1431) von 1981 und zur Laienfrömmigkeit in Les laïcs au Moyen Âge (1987; Gottes vergessenes Volk: Laien im Mittelalter, 1993) umspannt Vauchez den gesamten mittelalterlichen Zeitraum und erweist so die Dynamik mittelalterlicher Spiritualität und ihrer Ausdrucksformen. Sein Buch Saints, prophètes et visionnaires: le pouvoir surnaturel au Moyen Âge (1999) gilt einer von kritischer Distanz geprägten Verstehensbemühung um einen der uns am fernsten gerückten Aspekte des Mittelalters, der heute zumeist als purer Aberglaube abgetan wird.
Der italienische Sammelband Esperienze religiose nel Medioevo (2003) mit seinen stets inhaltsreichen und innovativen Einzeluntersuchungen zu „Laien als Heilige“, „Heiligkeit in weiblicher Gestalt“, „Der mittelalterliche Mensch und das Heilige: Orte der Begegnung“ und „Zeit und Ort in der mittelalterlichen Religiosität“ schlägt immer neue Brücken zwischen der Spiritualität und ihrem „Ort im Leben“.
Zweifellos der Höhepunkt von Vauchez’ Erkundungen im Feld des mittelalterlich-religiösen Weltverständnisses ist sein Werk François d’Assise. Entre histoire et mémoire (2009). Seiner Darstellung von Leben Werk und Wirkung des Franziskus von Assisi gelingt es, ohne falsche Mythisierungen und Aktualisierungen eine der farbigsten und einflussreichsten Gestalten des Mittelalters, die sich dem kollektiven Gedächtnis tief eingeprägt hat, lebendig werden zu lassen aber zugleich mit grosser Luzidität die Arbeit am Mythos zu verfolgen, der sich um seine Gestalt gebildet hat.