Brasilien

Antônio Augusto Cançado Trindade

Balzan Preis 2020 für Menschenrechte

Für den grundlegenden Beitrag sowohl in der Rechtslehre wie auch in der Rechtsprechung zur Definition und Verwirklichung einer global gültigen Rechtsordnung, die auf dem Grundsatz beruht, dass die gesamte Menschheit das Subjekt eines Völkerrechts bilden muss, das den Rechtsweg für Individuen eröffnet und sich auch gegenüber den Nationalstaaten durchsetzt.

Der 1947 in Belo Horizonte (Brasilien) geborene Antônio Augusto Cançado Trindade (*1947 – †2022) ist seit 2009 Richter am Internationalen Gerichtshof von Den Haag. Zuvor lehrte er rund dreißig Jahre an der Universität von Brasília und wirkte von 1995 bis 2008 als Richter am Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Antônio Augusto Cançado Trindade hat Dutzende von wissenschaftlichen Büchern und Hunderte von Artikeln verfasst und ist eine unbestrittene Autorität auf dem Gebiet des internationalen öffentlichen Rechts.

Im Mittelpunkt der gesamten wissenschaftlichen Tätigkeit von Antônio Augusto Cançado Trindade stehen die Menschenrechte. Als Synthese seines Denkens können die Vorlesungen zum öffentlichen internationalen Recht gelten, die er 2005 an der Haager Akademie für Völkerrecht hielt und in dem 2012 herausgegebenen Band International Law for Humankind. Towards a New Jus Gentium weiterentwickelte, der mittlerweile in der dritten überarbeiteten Auflage erschienen ist (Leiden, 2020). Wobei er das Thema aus historischer, rechtlicher und sachbezogener Perspektive behandelt.

Von den historischen Voraussetzungen, die von der Antike zu den modernen Vorstellungen des Völkerrechts (ius gentium) leiten und in der Schule von Salamanca, bei Grotius und den modernen Vertretern des Naturrechts entwickelt wurden, führen die Forschungen zu der eingehenden Analyse der Rechtslehre zwischen 1920 und 1945, die den Internationalen Gerichtshof von Den Haag hervorgebracht hat. In Folge wurden der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz in Straßburg und der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in San José (Costa Rica) eingerichtet. Die Untersuchungen des Autors befassen sich nicht nur mit den Charakteristika der Menschenrechte, wobei sie die grundlegenden Neuerungen der UN-Menschenrechtscharta von 1948 und die der darauf folgenden Rechtecharten berücksichtigen. Sie erörtern auch die juristischen Thesen und Debatten über die Reichweite dieser Regelungen. Besonderes Augenmerk legt der Autor auf die Rechtsprechung der beiden erwähnten sowie weiterer internationaler Gerichtshöfe (u.a. für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien), deren bahnbrechende Entscheidungen in den vergangenen Jahren zu neuartigen Auffassungen über die Menschenrechte und die Folgen von Menschenrechtsverletzungen geführt haben.

In den Kapiteln dieses vorbildlichen Forschungswerks werden unter anderem die Grundlagen des internationalen öffentlichen Rechts und dessen normativen, doktrinären und in der Rechtsprechung begründeten Quellen erörtert. Weitere Themen sind der Schutz von Menschenrechten sowohl des Individuums als auch von Kollektiven sowie die Lehre eines eigentlichen Rechts auf Frieden. Die Vorstellung, dass die Menschheit in ihrer Gesamtheit ein Subjekt des Völkerrechts und also sein schützenswerter Gegenstand ist, steht im Mittelpunkt der Lehre von Antônio Augusto Cançado Trindade, was sich bereits im Titel des zitierten Bandes widerspiegelt. Auf dieses Werk gründet sich schließlich die Verteidigung der Lehre, wonach die Nationalstaaten den rechtlichen und gerichtlichen Schutz der Menschenrechte weder in Frage stellen noch beschränken dürfen, sondern dass er als bindendes Recht (jus cogens) gelten sollte.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die im Band The Access of Individuals to International Justice (Oxford 2011) vertretene Auffassung, wonach der Zugang zur internationalen Gerichtsbarkeit auch Einzelpersonen und nicht nur Staaten offenstehen muss. Das steht allerdings im Gegensatz zu der herkömmlichen Lehrmeinung, wie sie nach wie vor in der Grundordnung des Internationalen Gerichtshofs von Den Haag zum Ausdruck kommt. Antônio Augusto Cançado Trindades Positionen zu diesen bedeutenden Fragen haben noch lange nicht die gebührende volle Anerkennung der Staaten gefunden, doch sie breiten sich auch dank des Einflusses der genannten großen Gerichtshöfe in einem bislang unbekannten Maß aus.

Über seine theoretischen Werke hinaus spielte Antônio Augusto Cançado Trindade als Richter zuerst am Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und derzeit am Internationalen Gerichtshof von Den Haag eine herausragende Rolle auf dem Gebiet der Menschenrechte, wo er einige der wichtigsten Entscheidungen prägte. Er hat seine Stellungnahmen zuweilen auch in „dissenting opinions“ ausgedrückt, d.h. in ergänzenden

und abweichenden Meinungen. Auch sie haben ihn zu einem wichtigen Akteur der internationalen Rechtsprechung auf dem Gebiet der Menschenrechte gemacht, wobei seine wissenschaftlichen Thesen und seine gerichtlichen Entscheidungen konform verlaufen. Selten findet man einen Juristen, der in einem so bedeutenden Bereich die beiden wesentlichen Dimensionen des Rechts, die der Theorie wie die der Praxis, in sich vereint.

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