Dänemark und Niederlande
Dorthe Dahl-Jensen und Johannes (Hans) Oerlemans
Balzan Preis 2022 für Vereisung und Dynamik der Eisschicht
Während des größten Teils ihrer Geschichte war die Erde eisfrei. Es gab jedoch zahlreiche Vorfälle, in denen Gletscher und Eisschicht mit der Landschaft und den darunter liegenden Schichten interagierten. Wegen der enormen Erosionskraft der Gletscher waren diese Episoden für die Gestaltung der Erde und ihrer Landschaften sehr wichtig. Wachstum und Zerfall von Eisschilden hängen entscheidend vom Massenaustausch an den Schnittstellen zwischen Atmosphäre, Ozean und fester Erdoberfläche ab. Daher ist ein integrierter Ansatz erforderlich, der quantitative Modellierung, Meteorologie und Glaziologie sowie die Entschlüsselung des Klimawandels durch Eiskernforschung und Feldkampagnen umfasst.
Dorthe Dahl-Jensen und Hans Oerlemans haben diese komplexen Fragen erforscht, um die Vergangenheit besser zu verstehen und die Zukunft vorherzusagen. Gemeinsam haben sie dazu beigetragen, die Ergebnisse ihrer Pionierforschung der Gemeinschaft nahezubringen. Als aktive Wissenschaftler sind beide Vorbilder auf ihrem Gebiet und wirken als Mentorin und Mentor einer neuen Generation von Forscherinnen und Forschern.
Dorthe Dahl-Jensen hat bahnbrechende Forschungen in der polaren Glaziologie und Eiskernforschung durchgeführt. Ihre Entdeckungen haben dazu beigetragen, das Klima der Vergangenheit mit Hilfe von Eiskerndaten zu rekonstruieren, die interdisziplinär ausgewertet wurden. 1997 wurde sie Leiterin des internationalen NEEM-Tiefen-Eiskern-Projekts, bei dem zum ersten Mal Daten gewonnen wurden, die älter als das letzteiszeitliche Maximum waren. Der Erfolg bei Erreichen des Basaleises, das vor Tausenden von Jahren in einer Tiefe von 2000 Metern entstand, war sensationell.
Dank ihrer herausragenden Führungsqualitäten hat sie diese große Herausforderung gemeistert, da sie wissenschaftliche, technische, verwaltungstechnische und menschliche Fähigkeiten zu vereinen wusste. Darüber hinaus hat sie neuartige Interpretationen von Eisbohrkernen (einschließlich der physikalischen Eigenschaften und der Strömung von Eis und Schmelzwasser in großen Tiefen) in Bezug auf die klimatischen Bedingungen in der Vergangenheit entwickelt und vorangetrieben. Sie hatnachgewiesen, dass die Temperaturen im vergangenen Jahrhundert höher waren als in den beiden vorangegangenen Jahrtausenden. Damit hat sie ein Fenster in die Vergangenheit geöffnet, das uns helfen wird, das Schicksal der Erde vorherzusagen. Dank ihrer Errungenschaften bildet die Wissenschaft von Eiskernen nun einen der Grundpfeiler für das Verständnis des Klimasystems. Ihre Forschungsergebnisse sind entscheidend, um quantifizieren zu können, wie natürliche und anthropogene Auswirkungen den Zustand unseres Klimas beeinflussen. Sie hat mit ihren viel zitierten und zukunftsweisenden Arbeiten zu diesem Thema beigetragen, in dem sie eine zentrale Rolle bei der Klimarekonstruktion der nördlichen Hemisphäre von heute bis zur letzten Zwischeneiszeit gespielt hat. Dies hat unser Wissen über den Klimawandel verändert.
Ihre umfassende Öffentlichkeitsarbeit auch in Bezug auf Entscheidungsträger in dringenden Fragen, mit denen die Menschheit derzeit konfrontiert ist, machen sie zu einem inspirierenden Beispiel für junge Forscher auf ihrem Gebiet. Ihre Schlüsselrolle bei der Organisation der sehr erfolgreichen Karthaus-Sommerkurse ist ein weiterer Beweis für ihren engagierten Einsatz zum Wohle der Allgemeinheit.
Hans Oerlemans hat außergewöhnliche Beiträge zum Verständnis der physikalischen Prozesse geleistet, die Gletscher und Klima miteinander verbinden. Seine Arbeit ist höchst originell, von herausragender Qualität und von bleibender Bedeutung. Bereits 1980 erklärte er die erste erfolgreiche Simulation des 100-jährigen Gletscherzyklus mit einem dynamischen Eisschildmodell mit verzögerter Bettreaktion. Zwei Jahre später schlug er das erste selbstkonsistente numerische Modell des antarktischen Eisschildes vor, das auch Gletscherbettreaktionen, dynamische Eisschichtenflächen und ein Massenbilanzfeld für Topographie und Klimazustand umfasst. Hans Oerlemans galt als Initiator für Feldkampagnen in den Alpen, in Grönland, Island, Norwegen, auf Spitzbergen und der Antarktis, wo er Glaziologie mit Meteorologie verband. Für seinen hochinnovativen Ansatz war es entscheidend, In-situ-Messungen, Fernerkundung und Computersimulationen zu integrieren, die zu neuen quantitativen Beschreibungen von Energie- und Gletschermassenbilanz führten.
Hans Oerlemans war auch der Erste, der mit Hilfe eines Eisdynamikmodells versucht hat, die Signale der Temperatur in der Tiefsee und diejenigen der Eisvolumen in den in Sedimentkernen gespeicherten Isotopendaten zu erkennen. Er führte eine neue Klasse von Gletschermodellen ein, die sich nicht auf große Zahlenmodelle stützen, um dynamische Prozesse und die Kopplung mit dem Klima zu untersuchen. Er wurde damit zu einem Vorreiter in der Gletscherdynamik- und Eisschildforschung, da er lange vor anderen Forschenden immer wieder neue Wege eröffnete.
Er leitet junge Forscher an und ist aktiv in der Organisation der Karthaus Sommerschule über Eisschichten und Gletscher im Klimasystem engagiert. Forschungsprojekte schlieβen die Nutzung von Stupas zur Bewässerung in kalten Regionen, die Modellierung des Eiswachstums auf dem St. Moritzersee und das Verständnis des Flutwassers auf Spitzbergen ein. Er war außerdem Hauptautor von drei IPCC-Klimaberichten (Veränderung des Meeresniveaus, Beobachtungen und Modellierung) und gründete vor kurzem den Verein GlaciersAlive zur Förderung von Projekten zum Schutz von Gletschern.