Dankesrede – Bern, 15.11.1985

Grossbritannien/Österreich

Ernst Gombrich

Balzan Preis 1985 für Kunstgeschichte des Abendlandes

Für seinen grundlegenden Beitrag zu einer historischen, ästhetischen und psychologischen Interpretation der klassischen und modernen Kunst des Abendlandes. Für die neuen Perspektiven, welche seine “Ikonologie“ der Erforschung symbolischer Formen eröffnet hat. Für die Förderung der humanistischen Studien, zu der das Warburg Institut unter seiner Leitung beigetragen hat.

Herr Präsident,
Exzellenzen,
sehr verehrre Anwesende!

Ich danke der Internationalen Balzan Stiftung, ihren Vorständen, Mitarbeitern und Beratern von ganzem Herzen dafür, dass sie mir diesen ehrenvollen Preis zuerkannt haben. Als ich vor siebenundfünfzig Jahren in Wien das Studium der Kunstgeschichte aufnahm, konnte ich es mir gewiss in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen, dass mir einmal eine solche überwältigende internationale Auszeichnung verliehen werden könnte. Gerade darum freut es mich besonders, der erste Kunsthistoriker zu sein, dem diese öffentliche Anerkennung zuteil wird, denn sie gilt ja nicht nur meiner Person, sondern auch meiner Arbeitsgebiet.

Den Mitgliedern der Wiener Schule der Kunstgeschichte, der ich entstamme, war stets viel daran gelegen, dass ihr Forschungsbereich als Wissenschaft voll genommen werden sollte, und dasselbe galt auch für den Hamburger Aby Warburg, dessen Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg seit 1936 in London meine geistige Heimat wurde. Im Grunde wollten wir nicht mit den schöngeistigen Dilettanten verwechselt werden, die in der Kunstliteratur ihr Wesen oder Unwesen trieben, und so bestanden wir darauf, dass die Kunstgeschichte, die uns vorschwebte, eben eine Wissenschaft sein müsse.

Freilich ist es mir inzwischen klar geworden, dass diese Forderung ein wenig irreführend formuliert war. Kann sie doch nicht einmal in alle europäischen Sprachen übersetzt werden, ohne widersinnig zu klingen. Vor allem im Englischen bleibt ja der Begriff der Wissenschaft, science, den exakten Naturwissenschaften vorbehalten, während wir eben keine Wissenschaftler sind, sondern bestenfalls Gelehrte, scholars. So hat meine Verpflanzung nach England, durch die ich lernen musste Englisch zu schreiben, und auch ein wenig Englisch zu denken, mich davon überzeugt, dass eine missverstandene Vorstellung von Wissenschaftlichkeit uns auch auf Abwege führen kann, wenn sie uns nämlich dazu verführt, uns eine schwerverständliche Terminologie zurechtzulegen, auf unumstösslicher Autorität zu bestehen und — wie es beute wieder geschieht unser Heil im Komputer zu suchen.

So habe ich mit dankbarer Genugtuung empfunden, dass die Preisrichter offenbar der Meinung waren, man könne auch wissenschaftlich sein, ohne falsche Ansprüche zu stellen. Denn im Grunde hat ja das Ideal meiner Lehrjahre auch weiterhin meiner Arbeit die Richtung gewiesen. Auch in meiner neuen Heimat bin ich kein Spezialist geworden, der seine Kenntnisse in den Dienst der Sammler und Sammlungen stellt, und auch kein Kunstkritiker, der sich für die eine oder andere Bewegung einsetzt. Ich dachte auch weiterhin mit Vorliebe über die grösseren Zusammenhänge nach, die uns im Studium der Kunstgeschichte entgegentreten und versuchte sie auch in einem gemeinverständlichen Buch ohne viele Fachausdrücke darzustellen. «Und wenn’s Euch Ernst ist, was zu sagen, ist’s nötig Worten nachzujagen?». Ich hielt mich auch sonst gerne an dieses Goethewort, denn es war mir immer Ernst «was zu sagen». Dabei habe ich oft das Wagnis unternommen, über das rein Tatsächliche hinauszugehen, also neue erklärende Hypothesen vorzuschlagen, die die Geschichte der abendländischen Kunst vielleicht verständlicher machen könnten. Zu diesem Zweck habe ich mich ein wenig in der Psychologie und in anderen Wissenszweigen umgesehen, und, wie meine Schriften bezeugen, auch aus meiner Freundschaft mit dem Wissenschaftstheoretiker Karl Popper reichen Gewinn gezogen. Er hat mir gezeigt, dass wir sinnvolle Fragen stellen können, auch wenn wir nie damit rechnen dürfen, eine endgültige Antwort gefunden zu haben.

Wir brauchen gewiss keine Angst zu haben, dass dieses stete Fragen dem Geheimnis des künstlerischen Schaffens ein Ende bereiten würde. Im Gegenteil, je eindringlicher, ja je nüchterner wir unsere Fragen fassen, desto sicherer wird unsere Ehrfurcht vor den wirklich grossen Leistungen wachsen, deren dankbare Erben wir sind und bleiben wollen.

In jeder Kultur haben die kanonischen Schriften der Vergangenheit zu dem Bedürfnis nach Kommentaren geführt. Im Abendland ist auch die bildende Kunst kanonisch geworden. Wenn ich auf meine Arbeiten zurückblicke, und an andere denke, die ich noch zustandebringen will, so möchte ich sie gerne als einen solchen Kommentar verstanden wissen, der meinen Lesern den Zugang zu den Schöpfungen der Vergangenheit erleichtert. Dass Sie diese Bemühungen anerkannt haben, erfüllt mich mit freudiger Dankbarkeit.

Verleihung der Balzan Preise 1985
Bern, Rathaus – 15. November 1985

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