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Ernst Mayr
Balzan Preis 1983 für Zoologie
Ernst Mayr (1904 – 2005) begann seine wissenschaftliche Laufbahn als Ornithologe. Im Zeitraum 1928-1930 leitete er drei Forschungsreisen in verschiedene Gebiete Neuguineas und nach den Salomoninseln. Als Konservator am American Museum of Natural History in New York und als Alexander Agassiz-Professor of Zoology an der Harvard University widmete er sich der Untersuchung der Fragen der Evolution, insbesondere der Grundfrage der Entstehung der Arten.
In Systematics and the origin of species (1942) wies er nach, dass der herkimm1iche «typologische» (essentialistische) Artbegriff heute nicht mehr aufrechterhalten werden kann und setzte an seine Stelle den « populationistischen » Begriff, wobei er eine in der Folgezeit von der Biologie weitgehend übernommene Definition der Art vorlegte, die wie folgt lautet: «Arten sind Gruppen natürlicher Populationen, die sich miteinander kreuzen und im Hinblick auf ihre Fortpflanzung von anderen ähnlichen Gruppen isoliert sind. »
Im Zusammenhang mit der Anfang der vierziger Jahre aufgestellten sogenannten « synthetischen Evolutionstheorie » leistete Mayr einen wesentlichen Beitrag durch Einbringung der mathematischen Aspekte der Populationsgenetik und deren Anpassung an die natürlichen Gegebenheiten.
Insbesondere vertrat er die Auffassung, dass die Definition der Evolution als einer Abwandlung der Genfrequenzen, wie sie im Rahmen der synthetischen Theorie vorausgesetzt wurde, zu schematisch und einschränkend und damit inadäquat sei. Die natürliche Auslese ist durch den Phänotypus im gesamten genetischen Bauplan des Individuums wirksam; Zielscheibe der Selektion ist nicht das einzelne Gen, sondern der gesamte Genotypus.
Was die Entstehung neuer Arten angeht, so erbrachte Mayr den Nachweis, dass die an der Peripherie des von der ursprünglichen Art besiedelten Areals lebenden Populationen isoliert werden können und folglich nicht mehr imstande sind, die durch den Gen-Fluss bewirkte Kohäsion mit den Populationen in zentraler Lage aufrechtzuerhalten, weshalb sie einen unabhängigen Evolutionsweg durchlaufen können, der zur Ausbildung neuer Arten führt. Diesen Prozess, der heute von der Mehrzahl der Evolutionsbiologen anerkannt wird, bezeichnete Mayr als « peripatrische Artbildung ». Er vertritt die Auffassung, dass dieser Prozess auch für die Makroevolution, dh. für die Entstehung der im Vergleich zur Art auf einer höheren Stufe stehenden Taxa, von entscheidender Bedeutung ist.
Neben diesen wesentlichen Beiträgen zur Wiederbelebung und weiteren Ausarbeitung des klassischen Darwinismus beschäftigte sich Ernst Mayr auch mit der Geschichte und Philosophie der Biologie, wobei er die verschiedenen Aspekte des Einflusses des Darwinismus auf das Denken unserer Zeit einer gründlichen Prüfung unterzog. Besonders schöpferisch ist seine Analyse des Finalismusbegriffs im Lichte der darwinistischen Interpretation. Auch wies er immer wieder auf die Bedeutung der Verhaltensweisen der Tiere mit ihren « geschlossenen » und « offenen » Programmen für die Evolution hin.
Sein neuestes Buch The growth of biological thought (Band I, 1982) ist eine vortreffliche Geschichte der Biologie, in welcher er eine Unterscheidung einbringt zwischen funktionaler Biologie, welche die unmittelbaren Ursachen untersucht, und Evolutionsbiologie, welche die historischen Ursachen zum Gegenstand hat.
Ernst Mayr, Verfasser von mehr als 500 Publikationen und 10 in Buchform erschienenen Werken, gilt als einer der massgeblichsten Evolutionsbiologen unserer Zeit. Ausgehend von der zoologischen Systematik leistete er grundlegende Beiträge zur Erforschung der Evolutionsfragen, der theoretischen Implikationen des Darwinismus, sowie deren Einfluss auf das moderne Denken.