Grossbritannien
John Elliott
Balzan Preis 1999 für Geschichte vom 16. bis 18. Jahrhundert
Der britische Historiker Sir John Elliott (*1930 – †2022) gilt als der weltweit bedeutendste Experte für die spanische Geschichte zu Beginn der Neuzeit. Seine Studien über die iberische Halbinsel und über das spanische Weltreich haben unsere Auffassungen verändert – sowohl hinsichtlich der Probleme, mit denen sich Spanien am Ende des sechzehnten Jahrhunderts und zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts auseinandersetzen musste, als auch hinsichtlich der Anstrengungen, die seine Herrscher unternehmen mussten, um den Niedergang des Landes zu verhindern.
Seine erste wichtige Veröffentlichung, The Revolt of the Catalans: A Study in the Decline of Spain 1598-1640 (1963), war das Ergebnis eines längeren For- schungsaufenthalts in Katalonien, wo Elliott katalanische Gelehrte kennenlernte, unter anderem auch den angesehenen Historiker Jaume Vicens Vives, der ihn stark beeinflusste. In diesem Werk bewies er, dass die schwache Position, auf die sich die spanische Monarchie gründete, eine Folge der nicht vollendeten Vereinigung der iberischen Gebiete, über die sie herrschte, war. Dieses Thema verfolgte Elliott in seinen Schriften immer wieder.
Auf dieses Buch folgte das Standardwerk Imperial Spain, 1469-1716 (1963), das noch heute an englischen und spanischen Universitäten als Lehrbuch benutzt wird. In diesen beiden Bänden hob Elliott hervor, dass die spanische Geschichte trotz ihrer Einzigartigkeit Ähnlichkeiten mit der anderer europäischer Staaten zur gleichen Zeit aufweist.
Später schrieb Elliott, dass ein Hispanist, der seine Kenntnisse der spanischen Geschichte, Politik und Kultur maximal nutzen möchte, in der Lage sein müsse, Verknüpfungen zwischen der Halbinsel und den Ereignissen in anderen Teilen der Welt zu finden, um daraus Parallelen und Vergleiche abzuleiten, welche die spanische Situation erklären könnten Danach erschienen zwei Bände, die sich nicht ausschliesslich auf die spanische Geschichte konzentrierten, sondern in denen sich Elliott mit der Wechselbeziehung zwischen Spanien und dem Rest der Welt beschäftigen konnte. In Europe Divided 1559-1598 (1969) zeichnet er ein Bild von ganz Europa während der vierzigjährigen spanischen Vorrangstellung. In The Old World and the New 1492-1650 (1970) untersuchte er unter intellektuellen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten den Einfluss, den Amerika zur Zeit des 16. Jahrhunderts und zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf Europa ausübte. Beide Werke sind aktuell geblieben und bis heute durch keine andere Arbeit überholt. 1973 siedelte Elliott von London nach Princeton über, wo er sich intensiv mit der Ministerkarriere von Olivares, dem wichtigsten Minister und Günstling Philipps IV. von Spanien, beschäftigte.
Zusammen mit José Francisco de la Peña gab er die Memoriales y cartas del Conde Duque de Olivares (1978-1981), eine wichtige Sammlung von Dokumenten mit wissenschaftlichem Kommentar, in zwei Bänden heraus. Mit dem Kunsthistoriker Jonathan Brown verfasste er sodann eine gelehrte und elegante Studie über den Palast, den Olivares für Philipp IV. errichten liess, und über die Gemälde, die er dafür in Auftrag gab: A Palace for a King: The Buen Retiro and the Court of Philip IV (1980). Danach erschien Richelieu and Olivares (1984), eine vergleichende Studie über die beiden Staatsmänner, die in der gleichen Epoche ähnliche Probleme zu lösen hatten. Schliesslich veröffentlichte er 1986 sein Hauptwerk, an dem er seit Beginn seiner Forschungstätigkeit im Jahre 1952 gearbeitet hatte: The Count-Duke of Olivares: The Statesman in an Age of Decline (1986). Nach Recherchen in nahezu allen nationalen europäischen Archiven entstand dieses gewichtige und gelehrte Werk, das die Geschichte Spaniens in der Epoche darstellt, in der die traditionellen Grundlagen seiner Macht brüchig zu werden beginnen.
Die Analyse der Probleme, welche die politischen Führer in der Epoche des nationalen Niedergangs betreffen, erinnern deutlich, wenn nicht sogar erklärtermassen an ähnliche Probleme, die ihrerseits die politischen Führer Grossbritanniens nach dem Ende des Empire zu bewältigen hatten. Gegenwärtig arbeitet Sir John Elliott an einer vergleichende Studie über die spanische und britische Kolonisierung der Neuen Welt. Die wissenschaftliche Produktion von Sir John Elliott ist sehr breit gefächert. Unter methodologischem Aspekt ist sie nicht innovativ, aber sie repräsentiert ein Höchstmass an traditioneller Geschichtsforschung und sticht durch Ausgewogenheit, durch sein Urteil und seine Klarheit hervor. Elliotts Bücher haben zudem viele Forscher _ sowohl in Europa als auch in Amerika _ beeinflusst. Elliott hat die Erforschung der spanischen Geschichte wiederbelebt und ihr neue Anstösse verliehen, was für einen britischen Historiker einen bemerkenswerten Erfolg darstellt.