anlässlich der Verleihung des Balzan Preises – Bern, 22.11.2007

Österreich/Deuschtland

Karlheinz Böhm

Balzan Preis 2007 für Humanität, Frieden und Brüderlichkeit unter den Völkern.

KARLHEINZ BÖHM, Organisation Menschen für Menschen, Äthiopienhilfe

Für sein Lebenswerk im Dienst der Humanität und des Friedens, für sein ungewöhnliches persönliches Engagement, für sein ausserordentlich erfolgreiches Netz von konkreten Fördermassnahmen in Äthiopien, einem der ältesten und ärmsten Kulturländer der Erde

Bern, 22.11.2007


Karlheinz Böhm anlässlich der
 Verleihung des Balzan Preises 2007

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

am 16. Mai 2007 waren 26 Jahre vergangen, seit ich in der Fernseh-Sendung „Wetten, dass..?“ meiner Verzweiflung und Wut über die Diskrepanz zwischen Arm und Reich auf dieser Erde durch eine Wette Ausdruck verliehen habe, die manchem verrückt erschienen sein mag. Ich wettete, dass mir nicht einmal jeder dritte Zuschauer – also rund 6 Millionen Menschen – eine Mark, einen Franken oder sieben Schillinge für hungernde Menschen in der Sahelzone anvertrauen würde. Sollte ich verlieren, würde ich mit diesen Spenden unter Umgehung aller Hilfsorganisationen in die Sahelzone reisen und dafür sorgen, dass ein Jahr lang kein Kind verhungert. So blauäugig und naiv diese Wette gewesen sein mag, ich wusste damals nicht, dass genau diese Wette eine grundlegende Veränderung meines künftigen Lebens herbeiführen würde. Was letztlich aber nur einer Initialzündung bedurfte, hatte schon viel früher begonnen.
Viele der tiefgreifenden Veränderungen des 20. Jahrhunderts habe ich selbst miterlebt. Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und sein politisches Erbe – einerseits der immense wirtschaftliche und kulturelle Fortschritt der Folgejahre, andernseits wachsende Not und Armut, die zunehmende Technisierung und in den letzten Jahren die Entwicklung eines weltweiten Computernetzwerks. Nicht zuletzt die gesellschaftlichen Umbrüche der 68er Generation, in deren Folge die Veränderung der Gesellschaft ein neues Selbstverständnis des Menschen entwarf, geprägt von mehr Eigenverantwortung. Die Ungerechtigkeit und Gleichgültigkeit auf dieser unserer Erde haben sich dadurch nicht verringert, und in unserer Welt, in der sich der Egoismus lohnt und die Selbstlosigkeit belächelt wird, in der Entscheidungen von globaler Bedeutung davon abhängen, inwieweit der Profit sich erhöht oder nicht, herrscht immer noch Hunger und Krieg.
In meiner Karriere als Filmstar der 50er und 60er Jahre liess ich mich vom Geist jener Zeit und der gekonnten Verdrängung einer historischen Verantwortung mitreissen, vom sogenannten „Tanz um das goldene Kalb“, das sich Wirtschaftswunder nannte. Als Darsteller des Kaiser Franz in den international bekannten Unterhaltungsfilmen „Sissi“ erlangte ich in jener Zeit den Popularitätsgrad, der für den Ausgang meiner schicksalhaften Fernsehwette Jahre später entscheidend sein sollte. In den späten 70er Jahren, als ich mit dem genialen Regisseur Rainer Werner Fassbinder und seiner mittlerweile legendären und revolutionären Schauspieler- und Künstlertruppe arbeitete, war übrigens er es, der – bei meinem Bemühen, das Sissi-Image abzustreifen – mir zu verstehen gab, dass man sich im Leben zu allem bekennen müsse, was man gemacht habe, immer mit der nötigen Selbstkritik, um sich weiter nach vorne zu entwickeln.
In dieser Zeit ergab es sich, dass ich während eines ersten Afrika-Aufenthaltes – einer Erholungskur in Kenia – mit der Armut und dem Elend der afrikanischen Bevölkerung jenseits der Touristen in ihren Luxushotels konfrontiert wurde. Der Kulturschock war gross und nachhaltig. Am Abend des 16. Mai 1981 war ich dann zu Gast in der seinerzeit von Frank Elstner moderierten Fernsehshow „Wetten, dass..?“ und, zutiefst betroffen über die kurz zuvor bekannt gewordene Entscheidung des Deutschen Bundestags, die immense Summe von 150 Millionen Mark für Flugübungsbenzin zu bewilligen, ging ich vor einem Millionenpublikum eben diese Wette ein.
Um es kurz zu machen: Ich habe diese Wette letztlich haushoch gewonnen, denn ca. 1,2 Millionen Mark landeten in den Tagen nach der Sendungim Spendentopf, also wesentlich weniger als erhofft. Als Wettsieger hätte ich jederzeit dieses Geld einer Hilfsorganisation überlassen können, aber durch die Tatsache, dass 800 Millionen Menschen hungern, während jährlich weltweit 900 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben werden, wusste ich, dass ich selbst etwas tun wollte und musste. Warum wunderte das so viele Menschen? Mich wunderte, warum andere es aushielten, diesen ganzen Wahnwitz mit anzusehen und nichts zu tun. Die immer wieder gestellte Frage nach dem „Warum“ ist für mich unverständlich. Die Erkenntnis, dass politische Systeme und Feindbilddenken nicht durch Ideologien, Massenbewegungen oder religiösen Fanatismus verändert werden können, führte mich zu dem Schluss, dass zunächst eine weitgehende Veränderung meiner selbst und ein aktives und kreatives Engagement gegen Ungerechtigkeit zu gesellschaftlicher Veränderung führen können.
So flog ich am 30. Oktober 1981 erstmals nach Äthiopien und besuchte ein Flüchtlingslager in Babile im Osten des Landes, in dem etwa 1500 Halbnomaden des Hauiwa Stammes in unbeschreiblichem, fast unaussprechbarem Elend dahinvegetierten, aus ihrer Heimat vertrieben durch wiederkehrende Dürre und Krieg. Aber schon allein die Tatsache, dass Äthiopien eine andere Zeitrechnung hat (das „neue Millennium“ wurde erst im September 2007 gefeiert, also 7 Jahre nach unserem Eintritt ins neue Jahrtausend), allein der Anblick einer fast alttestamentarischen Landschaft und die Konfrontation mit archaischen Lebensstrukturen, lässt man die Hauptstadt Addis Abeba einmal beiseite, machten mir klar, dass ich getreu der legendären Worte des griechischen Philosophen Sokrates „Ich weiss, dass ich nichts weiss“ alles vergessen und zurücklassen muss, was mich an moderne europäische Werte und Ordnung erinnerte. Ich muss auch gestehen, dass ich damals, ausserhalb der bereits genannten Motivationen, wenig Fachwissen oder echte Kenntnis des tatsächlichen Elends besass, das den Alltag derMenschen in diesem Gebiet zwischen den Wüsten des Nordens und der feuchten Äquatorialzone bestimmte.
In diesem Bewusstsein, das auch etwas zu tun hat mit Demut, habe ich mich mit Experten, zahlreichen treuen Helfern und den Menschen in Äthiopien zusammengetan und mich mit ihnen in einem gemeinsamen Lernprozess entwickelt. Heute weiss ich, dass das Staunen niemals endet, dass nichts unmöglich ist, dass Visionen Wirklichkeit werden können, Zufälle nie zufällig passieren und der Mensch selbst zu den grössten Wundern dieser Welt gehört.
Sehr bald haben die äthiopischen Behörden erkannt, dass ich als „Mensch für Menschen“ nicht im Auftrag eines Staates noch einer Religionsgemeinschaft oder einer Wirtschaftsmacht kam, sondern ausschliesslich, um notleidenden Menschen in ihrer Entwicklung zu helfen. Also keine politischen, ökonomischen Forderungen, die leider die Grundlage so vieler sogenannter Hilfe für den als „Dritte Welt“ bezeichneten Grossteil der Menschheit bildet.
Von da an ging es Schlag auf Schlag. Am 13. November 1981 wurde Menschen für Menschen in München offiziell aus der Taufe gehoben. Heute haben wir in elf Regionen Äthiopiens eine Vielzahl langfristig angelegter landwirtschaftlicher und agro-ökologischer Projekte, wir bauen Brunnen zur Versorgung mit sauberem Trinkwasser und bekämpfen die Bodenerosion. Wir tragen zum Aufbau eines grundlegenden Gesundheitswesens bei und betreiben intensive Aufklärungsmassnahmen in Familienplanung und gegen HIV/Aids, den grausamen Brauch der Frauenbeschneidung und der Kinderheirat. Immer intensiver erarbeiten wir Bildungs- und Ausbildungsprogramme, denn: Bildung ist Entwicklung! Weniger als 50 Prozent der jungen Generation haben die Möglichkeit eine Schule zu besuchen, da es in vielen Regionen einfach keine Schulen gibt. Schulbildung ist jedoch die Basis für die Verbesserung derLebensqualität in jeder Gesellschaft. Durch all diese Aktivitäten ist bis heute für Millionen Kinder, Frauen und Männer in Äthiopien die „Hoffnung auf Morgen“ Wirklichkeit geworden.
Für mich hat sich dadurch ein Teil meines Wunschtraums erfüllt: dass Menschen schon nach einer oder eineinhalb Generationen eine völlig neue Sicht der Dinge für sich finden, dass sie in einer Art und Weise in die heutige Zeit hineindenken, wie ich es in meinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt hätte. Das ist für mich eine ganz klare Definition von Entwicklung. Hilfe zur Selbstentwicklung funktioniert nie von oben oder aussen, sondern nur von innen, miteinander, in einem gemeinsamen Prozess.
Ich sagte, ich hatte einen Wunschtraum, eine Vision. Doch das Leben hat mich gelehrt, dass die Stärke einer Vision letztlich immer in ihrer Umsetzung, in der Realität liegt. Doch leider entsprechen unsere sogenannten realistischen Vorstellungen nie der tatsächlichen Realität auf dieser unserer Erde. Ich beobachte reiche, wohlmeinende Helfer, die dem Land den vermeintlichen Fortschritt bringen wollen, ohne den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu entwickeln. Wir können nicht vom Kamel auf den Traktor und im nächsten Satz zum Computer springen. In diesem Sinn – um nicht das moderne Wort „nachhaltig“ zu benutzen – wird Menschen für Menschen auch in Zukunft Projekte durchführen, die die Menschen in Äthiopien selbständig weiterführen können. Wichtig ist für mich der Gedanke der „Hilfe zur Selbstentwicklung“, denn eine Speisung ohne Zukunftsperspektive dient keinem. Es gibt noch viele Ziele, die ich gemeinsam mit meiner Frau und meinen Mitarbeitern in Äthiopien realisieren möchte: weitere Verbesserung im Gesundheitswesen, Bildungswesen und bei der Wasserversorgung. Allein im vergangenen Jahr haben wir durch drei neue Projektregionen erneut 235000 Menschen in unsere integrierten ländlichen Entwicklungsprogramme mit aufgenommen. Gemeinsam mit ihnen wollen wir die nächsten Jahre den Aufbau einer ertragreicheren Landwirtschaft und die Versorgung mit einer angemessenen Infrastruktur vorantreiben. Mein grösster Wunsch wäre, dass noch zu meinen Lebzeiten ein Vertreter des äthiopischen Volks zu mir kommt und sagt: „Vielen Dank für das, was Du für unser Land und Volk getan hast. Wir brauchen dich jetzt nicht mehr – wir schaffen das zukünftig selbst.“
Früher dachte ich oft mit Sorge an die Zukunft meiner Organisation. Wer wird die Idee von Menschen für Menschen weitertragen? Wenn ich heute sehe, wie meine Frau Almaz sich in die Verantwortlichkeiten eingearbeitet hat und das Management beherrscht, mehr als ich, dann ist diese Sorge eigentlich völlig verschwunden. Sie bringt sich auf eine Art und Weise in unsere Projekte ein, die mir den Atem raubt. Ich erachte das, über meine private Freude hinaus als Beispiel dafür, was sich heute in Äthiopien vollzieht. Ich bin unendlich stolz auf meine Frau und ihr Land und ich gehe mit Zuversicht in die Zukunft, denn diese Zukunft ist an meiner Seite.

Ich betrachte mich heute als Äthiopier, nicht nur, weil mir die Ehre der Staatsbürgerschaft zuteil wurde, sondern weil unsere Arbeit sich in einer Art und Weise in die Entwicklungdesgesamten Landes Äthiopien integriert hat, wie ich mir das nie hätte vorstellen können. Ich sehe mich nicht als Wohltäter der Menschen Äthiopiens, mehr als einen von ihnen anerkannten Menschen, der ihnen hilft, Probleme zu lösen. Je mehr ich mich mit diesen Nöten auseinandersetze, desto unverständlicher, ja irrsinniger erscheint mir die Zerstörung unserer Umwelt, die wirFortschrittsgläubigen immer noch auf Kosten der Völker in den Entwicklungsländern betreiben. Ich glaube, dass die Gesellschaft, in der wir leben, sich ändern muss, um weiter existieren zu können.
Unzählige Menschen in Europa haben mir und meiner Organisation in den letzten 26 Jahren durch ihre Unterstützung ihr Vertrauen geschenkt. Millionen Menschen konnten wir damit helfen, ein Leben in Eigenverantwortung zu führen, und ihnen eine bessere Zukunft ermöglichen. Möge der Kreis der Menschen wachsen, die ohne Vorurteile und mit offenen Armen aufeinander zugehen, als Menschen für Menschen.

Menschen fuer Menschen Foundation
Statistics of main achievements until 30 June2007
Categories of activities and other statistical dataTotal until
unit30/06/2007
Number of employees in Ethiopia(6expatriates+718Ethiopians)No.724
Project StartYear1982
Project area(of 9projects)Km2
ca38723
Number of beneficiariesNo.> 3Million
Educational Sector
Training centersNo.
4
Graduates (Short term farmers training)47490
Schoolsconstructed173
Vocational Education Training Center & ATTC
3
Graduates Technical Diploma(ATTC)731
Literacy campaign141691
Medical Sector
Health post constructionNo.43
Clinics newly constructed or renovated37
Health Centers newly constructed or renovated4
Hospitals3
Eye operations
35307
Ambulances24
Infrastructure
Water supply (Hand dug wells and Spring developments)No.
1211
Irrigation Systems44
Water reservoirs /Ponds65
Bridges
8
Grain mills (Diesel & Manual)302
Road construction(inc.26 all weather road ,rest temporary dry weather roads)Km2087
Social Institutions
KindergartenNo.9
Children’s Homes (incl.support to Abebech Gobena Orphanage & school)2
Support to Abraha Bahta Elderly Home & Orthopedic workshop in Harar1
Support to Alpha School for the deaf, Addis Ababa1
Agroecological Sector
Nurseries for fruit,trees,forage plants (MfM & private)No.165
Distributed seedlings (in millions)80,1
Soil & water conservation terraces,stone & soil bundsKm
30237
Biological soil conservation- Vetiver grass plantation2592,16
Veterinary service stationsNo.25
Modern Bee Hives
2769
Improved Houses4155
Closed afforestation sitesHa.1563
Women’s project
Number of small credit takersNo.10175
Training participants (eg.sewing ,hygiene,health,vegetable gardening etc.)26785
Number of trainees in improved handicrafts3127
Female student living quarters4
House holds with newly implemented vegetable gardens
9660
Improved stoves (mud & concrete)51440
Anti HIV/AIDS programme
Number of Mass meetings against HIV/AIDSNo.
53
Voluntary counseling & testing centers11
Voluntary counseling & testing servicepeople49729
Anti AIDS club members
866
Adolescent reproductive Health training4970
Income generation training for PLWHA546
Training HIV/AIDS Prevention & care10733
peers,non health staff,committees,TBAs,CBRHs etc.)
Support HIV/AIDS orphans
2110

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