USA
Martha C. Nussbaum
Balzan Preis 2022 für Moralphilosophie
Martha C. Nussbaum ist Ernst Freund Distinguished Service Professor für Recht und Ethik an der Law School und im Philosophischen Departement der Universität von Chicago. Im Laufe ihrer langen und erfolgreichen Karriere, in der sie bis heute siebenundzwanzig Bücher veröffentlicht hat, hat sie einen bedeutenden Beitrag zu vielen Bereichen der Philosophie geleistet. Sie sind alle durch ein tiefes Interesse an den Problemen der Moralphilosophie und der politischen Philosophie verbunden und an den Pflichten politischer Gemeinschaften, die sich um die Förderung menschlicher Lebensqualitäten bemühen.
Ihre frühen Arbeiten legten den Fokus auf die antike griechische und römische Philosophie. In The Fragility of Goodness: Luck and Ethics in Greek Tragedy and Philosophy (1986) und The Therapy of Desire (1994) untersuchte sie die Art und Weise, wie die Auswirkungen von Faktoren, die sich unserer Kontrolle entziehen, den moralischen Status unseres ethischen Selbstverständnisses beeinflussen. Diese Studie unterstrich auch die potenzielle Bedeutung der Beziehung zwischen literarischer Form und philosophischem Inhalt – ein Thema, das Martha C. Nussbaum in ihrer äußerst einflussreichen Aufsatzsammlung Love’s Knowledge (1990) weiterverfolgte, indem sie argumentierte, dass tugendbasierte ethische Ansätze auf die Ressourcen des klassischen Romans zurückgreifen müssen, um attraktiv und wirksam zu sein.
Das grundlegende Interesse an Ethik führte Martha C. Nussbaum dazu, sich mit der Natur der Emotionen und ihrer Rolle in unserem ethischen, politischen und rechtlichen Denken auseinanderzusetzen. In einer Reihe von Büchern wie Upheavals of Thought: The Intelligence of Emotions (2001), Hiding From Humanity: Disgust, Shame, and the Law (2004) und Citadels of Pride: Sexual Abuse, Accountability, and Reconciliation (2021) argumentierte sie, dass unsere emotionalen Reaktionen auf andere Menschen eine kognitive Dimension haben und daher im Hinblick auf ihre Gegenstandsadäquatheit kritisch bewertet werden müssen. Die Preisträgerin hat im Detail nachgezeichnet, inwieweit ethische Entfaltung die Kultivierung unserer emotionalen Reaktionsfähigkeit erfordert und wie diese Reaktionen unzureichend oder sogar fehlerhaft sein können. Das kann zu Mustern ethischer Urteile und zu politischen und rechtlichen Maßnahmen führen, welche sowohl dem Einzelnen als auch seiner Umwelt schaden können.
Dies wiederum führte sie dazu, sich mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit auseinanderzusetzen. Ihr wichtigstes Verdienst hierbei ist, zur Entwicklung eines neuen Ansatzes für die Messung von Prozessen der globalen Entwicklung beigetragen zu haben. In Women and Human Development (2000), Frontiers of Justice (2006) und Creating Capabilities: The Human Development Approach (2011) argumentiert sie gegen die Anwendung des BIP als geeigneten Maßstab für die Bestimmung des Niveaus der menschlichen Lebensqualität in einer Gesellschaft. Stattdessen führt sie ein Konzept der Lebensqualität ein, das von den eigenen Fähigkeiten bestimmt wird, von dem, was eine Person in der Lage ist zu tun und zu sein. Soziale Gerechtigkeit wird so als eine Frage der Gewährleistung substanzieller Wahl- und Handlungsmöglichkeiten verstanden (was bedeutet, innere Fähigkeiten verschiedener Art in einem politischen und sozialen Umfeld zu erreichen und diese auszuüben). Diese neue Perspektive erlaubt uns, nicht nur unsere Ziele zu überdenken, wenn wir internationale Hilfe bereitstellen, sondern auch unsere Versuche neu zu kalibrieren, um ein höheres Maß an Gerechtigkeit innerhalb unserer eigenen Gesellschaft (zum Nutzen derjenigen, die unter Armut oder Geschlechtsdiskriminierung leiden) zu erzielen.
Einer der bemerkenswertesten Aspekte von Martha C. Nussbaums Karriere ist, dass sie mit ihren Schriften über ein breites Spektrum dringlicher ethischer und politischer Themen nicht nur ihre akademischen Kolleginnen und Kollegen anspricht, sondern auch eine breitere politische Öffentlichkeit. Kürzlich wandte sie sich auch den nichtmenschlichen Tieren zu (ihr Buch Justice for Animals wird 2023 erscheinen). In diesem Sinne ist sie nicht nur eine der einflussreichsten lebenden Moralphilosophen, sondern auch eine herausragende öffentliche Intellektuelle.