Frankreich

Paul Ricoeur

Balzan Preis 1999 für Philosophie

Für seine Fähigkeit, alle Themen und die wichtigsten Anregungen der Philosophie des 20. Jahrhunderts in einer Einheit zusammenzufassen und daraus eine eigenständige Synthese zu erarbeiten, die aus der Sprache - besonders der poetisch-metaphorischen Sprache - einen Ort der Offenbarung der Wirklichkeit macht, die von uns nicht manipuliert, sondern auf verschiedene Art und Weise und doch kohärent interpretiert werden kann. Durch die Metapher erreicht die Sprache jene Wahrheit, die aus uns das macht, was wir in der Tiefe unseres Wesens sind.

Der französische Philosoph Paul Ricoeur (Valence 27/02/2013 – Châtenay-Malabry 20/05/2005) lehrte in Strassburg und an der Sorbonne, bevor er in einem kritischen Moment (1969) die neue Universität Nanterre leitete. Nach seiner Emeritierung lehrte er in Amerika, vor allem an der Divinity School der Universität Chikago.

Ricoeur, der der „Esprit“-Bewegung nahestand, erlag danach dem Zauber der bedeutendsten philosophischen Richtungen unseres Jahrhunderts, vor allem der Phänomenologie, dem Existentialismus und der Sprachphilosophie, wobei letztere als Mittel der Enthüllung zu verstehen ist.

Ihr verdankt sich auch Ricoeurs religiöse Sensibilität, denn die „Religionen des Buches“ bedienen sich gerade des Wortes, um das, was jenseits des Wortes liegt, zu enthüllen. Viele seiner philosophischen und literarischen Werke wurden auch ins Deutsche übersetzt, wie z. B. Die lebendige Metapher, Zeit und Erzählung, Der Konflikt der Interpretationen.

Ricoeur erforschte also das Sprechen, nicht als ein Mittel, das darauf beschränkt ist, die Dinge zu beschreiben und sie zu beherrschen, sondern als etwas, das dazu geeignet ist, sowohl das Wirkliche, das Mögliche und das Virtuelle zu interpretieren. In dieser Funktion ist die Sprache die Lebendige Metapher (Paris, 1975) und nicht nur einfach ein Ornament. Beim Sprechen erzählt man und beschreibt man (wie die 3 Bände Zeit und Erzählung [Paris, 1983-1985] erläutern) und bezieht sich dabei auf wirkliche und unwirkliche Tatsachen, nicht mit dem einfachen Ziel, Informationen zu vermitteln, sondern um den tieferen Sinn der Wirklichkeit zum Vorschein zu bringen. Das geschieht nicht in einer einheitlichen und notwendigen Weise, sondern (wie schon Augustinus erkannt hatte) in Formen, die auch unter sich als widersprüchlich erscheinen können (wie in Der Konflikt der Interpretationen [Paris, 1969] dargestellt), die aber alle dazu beitragen, eine einzige, identische Wahrheit unter dem Wechsel der Formeln zu erklären.

Diese Untersuchungen, die Paul Ricoeur am Beispiel einer Vielzahl von philosophischen und literarischen Texten erläutert hat, machen aus ihm den Meister einer der wichtigsten Gruppierungen der heutigen Philosophie, die unter dem Namen „Hermeneutik“ oder Kunst der Interpretation bekannt ist. Dabei liegt das Hauptverdienst von Ricoeurs Denken darin, eine Interpretation der Interpretationen geliefert zu haben, die ihre Ver- schiedenartigkeit rechtfertigt, ohne sie weder alle auf das gleiche Niveau zu stellen (Relativismus) noch einer vor der anderen den Vorzug zu geben, nur weil sie von der Mehrheit geteilt wird: So sind gleichzeitig Wahrheit und Verschiedenartigkeit gesichert.

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