Grossbritannien
Peter Hall
Balzan Preis 2005 für Sozial- und Kulturgeschichte der Stadt seit Anfang des 16. Jahrhunderts
Peter Hall (*1932 – †2014) ist ein Stadtgeograph, der sein gesamtes Leben dem Erforschen der Städte der Welt unter verschiedenen Gesichtspunkten, d.h. hinsichtlich Wirtschaft, Demographie, Kultur und Management, gewidmet hat. Er hat das unaufhaltsame Wachstum der Stadtbevölkerung und ihre zunehmende Konzentration in enormen Grossstädten analysiert. Er hat auch die damit zusammenhängenden Probleme untersucht, wie etwa das der Verkehrsbelastung und der Überbevölkerung, des Transportwesens und der Kriminalität, und gründliche Studien über die verschiedenen, von Generationen von Stadtplanern vorgeschlagenen Lösungen durchgeführt. Er selbst ist im Bereich der Stadtplanung tätig und ein einflussreicher Kommentator der zeitgenössischen Entwicklungen sowie Berater von Regierungen und internationalen Agenturen. Im Besonderen wird er mit dem Begriff der “Enterprise Zone” (Sanierungsgebiet) in Zusammenhang gebracht, einer weltweit übernommenen Idee, derzufolge dem urbanen Verfall vorgebeugt wird, indem die städtischen Sanierungsgebiete abgegrenzt werden und die Möglichkeit erhalten, sich für Unternehmerinitiativen zu öffnen.
Als Stadtplaner hat er sich als einziger mit der Thematik aus einer ausserordentlich umfassenden, sowohl historischen als auch geographischen Perspektive befasst. Er hat die Probleme der grössten Städte der Welt studiert, wichtige Umfragen über die Entwicklung der Planungsideen in der Moderne durchgeführt und ist auch Autor einer viel beachteten historischen Studie, welche die Wurzeln der städtischen Kreativität ab dem 5. Jh. vor Chr. analysiert.
Peter Hall hat nahezu vierzig Werke verfasst und herausgegeben, von denen einige in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Die bemerkenswerteste Publikation unter den zeitgenössischen Problemen der Stadtplanung in Grossbritannien, Europa und in den Vereinigten Staaten gewidmeten Studien ist The Containment of Urban England (1973), eine Analyse des Planungssystems Grossbritanniens und der britischen Städte auf der Grundlage einer erstaunlichen Anzahl von Untersuchungen und statistischen Daten. Der Text kreist um das Problem der städtischen Wachstumsprozesse in England und Wales ab dem Zweiten Weltkrieg und beschreibt, wie die Planungsentwicklung sie einzuschränken und zu steuern versuchte. Er zeigt darüber hinaus, dass die Planer das Wachstum der Stadtgebiete erfolgreich einschränken und somit das Entstehen von Riesenstädten verhindern konnten und zwar durch das Vermeiden der physischen Verschmelzung von Stadt und Metropole. Durch diesen Prozess wurden jedoch unabsichtlich die Suburbanisierung und eine zunehmende Trennung von Wohnort und Arbeitsplatz gefördert. Eine verminderte Verfügbarkeit von Bauland hatte den Anstieg der Grundstücks- und Wohnungspreise zur Folge und eine Qualitätsverringerung der zur Verfügung stehenden Wohnungen.
Eine weitere Leistung von Peter Hall ist die kartographische Darstellung der modernen Versuche, der Stadtentwicklung Form zu verleihen und sie zu kontrollieren. Sociable Cities (1998), in Zusammenarbeit mit einem anderen Autor verfasst, ist eine gründliche Analyse von Ebenezer Howards Erbe, dessen Garden Cities of To-Morrow (1902) zu einem der einflussreichsten und wichtigsten Werke der gesamten Geschichte der Stadtplanung des 20. Jahrhunderts wurde und laut Peter Hall wieder an Bedeutung gewinnt in einer Zeit, die um die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung weiss. Cities of Tomorrow (1988) ist eine erweiterte Ideengeschichte der Stadtplanung und des Stadtdesigns. (Er hat bei der 2003 erschienenen Neuauflage des Originaltextes aus dem Jahre 1898 To-Morrow: A Peaceful Path to Real Reform von Ebenezer Howard mitgewirkt.) Die Ideen bezüglich der Stadtplanung, welche das 20. Jahrhundert vor allem in Grossbritannien, Europa und den Vereinigten Staaten entscheidend beeinflusst haben, analysiert er packend, gründlich und unvoreingenommen. Peter Hall sammelt die Reaktionen gegen die ungesunden Baracken der Städte des 19. Jahrhunderts und unterstreicht ironisch, dass die sozialen und politischen Ideale der ersten Stadtplaner von denen, die ihre Projekte später realisiert haben, häufig leider nicht geteilt wurden. Den Einfluss Le Corbusiers und seiner Turmhäuser beurteilt er als katastrophal. Seine Betrachtungen zu Themen wie dem Überleben des Lumpenproletariats in den amerikanischen Städten und den Auswirkungen des Automobils sind bedeutende Beiträge zur Sozialgeschichte der Stadt des 20. Jahrhunderts.
Die ganze Tragweite von Peter Halls Denken kommt jedoch vor allem in The World Cities (1966; Weltstädte, 1966) zum Ausdruck, wo er eine einprägsame und erschöpfende Analyse der Entwicklung von sieben urbanen Grossräumen der Welt liefert (London, Paris, New York, Moskau, Tokio und die grossen urbanen Komplexe Hollands und des Rhein- und Ruhrgebiets). Darin behandelt er die durch das unaufhaltsame Wachstum dieser städtischen Gebiete verursachten sozialen und ökonomischen Probleme und prüft die von Regierungen und Stadtplanern dafür entwickelten Lösungsversuche. Sein magnum opus Cities in Civilization: Culture, Technology and Urban Order (1998) entsteht später.
Es handelt sich um das brillante Unterfangen, die Kulturgeschichte der Städte vergleichend darzustellen, ein umfangreiches Werk von 1169 Seiten, mitreissend und spannend geschrieben, das die aussergewöhnliche kulturelle Kreativität der grössten Städte der Welt in ihrer Blütezeit (belles époques) analysiert, beginnend beim Athen der Klassik bis London am Ende des 20. Jahrhunderts. Peter Hall befasst sich kritisch und eingehend mit einer geradezu erstaunlichen Anzahl von Fachgebieten. Im Gleichschritt mit den modernen Sozial- und Wirtschaftstheorien versucht er, die Voraussetzungen urbaner Kreativität und die Ursachen der sozialen und kulturellen Veränderungen zu ermitteln.
Peter Halls Werk zeichnet sich durch einen besonderen Weitblick und eine beeindruckende intellektuelle Produktivität aus. Sein gesamtes Werk ist durch einen optimistischen Grundton hinsichtlich der Städte und ihrer Zukunft gekennzeichnet, auch in einer Zeit, in der durch die Informatik die grosse Konzentration von Menschen obsolet werden könnte. Sein Werk ist nicht nur ein analytisches Studium des Wachstums und der Entwicklung der Städte, sondern vor allem die Würdigung ihrer Rolle zur Verbesserung des menschlichen Lebens.
Der Balzanpreis für Sozial- und Kulturgeschichte der Stadt seit Anfang des 16. Jahrhunderts wird Sir Peter Hall zugedacht für seine meisterhaften Studien der Stadtplanung in der Moderne, seine Analyse der zeitgenössischen urbanen Probleme und seine tiefgehenden Betrachtungen über die Entwicklung der Städte der Welt im Laufe der Jahrhunderte.