Germany
2015 Balzan Prize for History of European Art (1300-1700)
Acceptance Speech – Bern, 13.11.2015 (video + text, German)
Sehr geehrter Herr Bundesrat,
sehr geehrte Damen und Herren,
Das Leben ist voller Überraschungen, auch dann noch, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Eine der schönsten Überraschungen meines Lebens ist der diesjährige Balzan Preis, der für Kunstgeschichte ausgeschrieben wurde. Ich möchte den Mitgliedern des Preisverleihungskomitees, die mich für diese hohe Auszeichnung gewählt haben, meinen aufrichtigen Dank aussprechen.
Man kann einen solchen Preis nicht verdienen, aber man freut sich, wenn man ihn erhält für etwas, was man schon gemacht hat. Ich freue mich auch darüber, dass der Preis im Gegensatz zu vielen anderen Preisen ein internationaler Preis ist, in dem die europäische Idee auf das Schönste zum Ausdruck kommt. Denn ich fühle mich Italien, wo ich studiert und später auch geforscht habe, und Frankreich, wo ich gelehrt habe, eng verbunden. Ich danke an dieser Stelle meinen Verlegern in Italien und Frankreich, die meine Forschungen in diesen Sprachen zugänglich gemacht haben. Eine besondere Ehre ist es für mich, dass mir der Preis im Bundeshaus in Bern verliehen wird.
Ein Preis für Kunstgeschichte ist in meinem Fall auch deswegen eine Überraschung, weil ich vor dreißig Jahren eine Streitschrift mit dem Titel „Das Ende der Kunstgeschichte?“ veröffentlicht habe, die in vielen Sprachen, darunter auch ins Chinesische, übersetzt und unter dem englischen Titel „Art History after Modernism“ fortgeschrieben wurde. Damit war nicht das Ende des Faches gemeint, sondern ein Modell des Faches, das neue Methoden brauchte, um das Fach auch auf andere Kulturen zu öffnen. Gerade im Wandel erweist sich die Lebendigkeit eines Faches. Ein nur für die Kunst geltender Geschichtsbegriff, der sich auf Stil und Form reduziert, war vor 100 Jahren eine Option, aber er isoliert die Kunst aus dem kulturellen Milieu, in dem sie entstanden ist, und beraubt sie ihrer Geschichtlichkeit. Die Einbindung der Kunst in ihr historisches Milieu war für mich schon eine interdisziplinäre Aufgabe, als ich mit einem Stipendium der Harvard University in Dumbarton Oaks studierte, um bei den Emigranten aus Deutschland Anschluss an eine große Tradition zu finden, die in Deutschland abgebrochen war.
Seither hat sich die Frage der Bilder so verändert, dass ich immer wieder erstaunt zurück blicke. In Harvard war ich von meinen Mitstudenten manchmal als „Picture Boy“ gehänselt worden, weil ich Bilder anschaute, statt Texte zu lesen (ein doppeltes Missverständnis). Niemand hätte damals voraussehen können, welche Dominanz Bilder nicht nur in den Geisteswissenschaften einmal finden würden. Im Zeitalter von TV und Youtube gewinnen die Bilder die Oberhand über die Texte, was auch Probleme erzeugt, weil sich das Verhältnis von High und Low Culture geradezu umkehrt. In der Populärkultur geht nichts mehr ohne Bild. In den Naturwissenschaften haben Bild gebende Verfahren Einzug gehalten, ohne einer eigenen Bildkritik unterzogen zu werden. Für die Kunstgeschichte bringt diese Entwicklung auch Probleme, weil sie sich öffnen muss für Bilder jenseits der Kunst, um den Anschluss an andere Fächer, die sich inzwischen auch mit Bildern befassen, zu finden. In Italien ist dem Fach in der Disziplin Estetica eine starke Konkurrenz entstanden. In Deutschland gibt es einen Richtungsstreit zwischen Kunstgeschichte und Bildwissenschaft, die sich in Wahrheit aber ergänzen. Ich selbst habe in dieser Situation den Vorschlag einer allgemeinen „Bildanthropologie“ gemacht, welche die Praxis der Menschen, Bilder zu machen, zum Thema hat und mich in Kontakt mit Fächern wie Philosophie und Archäologie gebracht hat.
Auch im Kernbereich der europäischen Kunstgeschichte, die für mich weiterhin eine zentrale Aufgabe darstellt, entstehen Fragen, welche nach einer neuen Form der Darstellung verlangen. Ich nenne als Modelle die Bildgeschichte, die Mediengeschichte und die Werkgeschichte. Meinem Buch „Bild und Kult“ liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Bildgeschichte vor der Renaissance nicht mehr mit dem Renaissancemodell der Kunstgeschichte Vasaris geschrieben werden kann. Auch in der Renaissance, verstanden als „Zeitalter der Kunst“, entstehen neue Fragen, wenn das Tafelbild oder Gemälde als ein genuin europäisches Medium auf den Plan tritt, oder wenn sich im 17. Jahrhundert das wissenschaftliche Bild aus der Bindung an Kunst verabschiedet. Schließlich ist seit der Moderne, also im 19. Jahrhundert, das Kunstwerk plötzlich auf sich selbst bezogen und nicht mehr auf das, was es darstellt. Diese Entwicklung löste bei den Malern den Konflikt zwischen dem einzelnen Werk und der allgemeinen Idee der Kunst aus.
Eine besondere Herausforderung ist es heute, die Grenzen der europäischen Kunstgeschichte über Europa hinaus zu erweitern. In meinen Vorlesungen über „Die Geschichte des Blicks“ im Collège de France machte ich die unerwartete Entdeckung, dass das perspektivische Bild, das als ureigenste Erfindung der Renaissance gilt, im Austausch mit der arabischen Wissenschaft entstanden ist, aber sich darin unterscheidet, wie es menschliche Wahrnehmung auffasst und sie in Bilder fasst (da waren arabische Wissenschaftler schon weiter). In dem Buch „Florenz und Bagdad“ habe ich versucht, den komplexen Wechselbezug zwischen den beiden Kulturen darzustellen und auch einmal von außen auf die europäische Kultur zu blicken. Dafür bot sich der Begriff eines „Blickwechsels“ an, der in jedem Kapitel die Richtung zwischen Ost und West ändert.
Eine andere Herausforderung stellt die zeitgenössische Kunst dar, die erst seit 25 Jahren auf dem ganzen Globus praktiziert wird und die die Grenzen der Moderne, mit ihrem hegemonialen Anspruch, infrage stellt. Der Kunstdiskurs kann mit der dezentralen Ausstellungspraxis kaum mehr Schritt halten. Die alten Kunstmetropolen werden von lawinenartig angewachsenen Biennalen bedrängt, in denen die Kunst entweder politisch agiert oder ein Marktgeschehen mit einer globalen Klientel spiegelt. Im „Ethnographic turn“ finden sich Kunstexperten und Ethnologen, mit ihren ganz verschiedenen Methoden, oft vor den gleichen Kunstwerken wieder. Das globale Zeitalter sucht in neu postulierten „Kunstwelten“ kulturelle Identität in einem „Mapping“ eigener Art zurück zu gewinnen. Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe hat dazu in Publikationen und Ausstellungen ein Forschungsprojekt entwickelt, an dem ich mich seit 2006 beteiligt habe.
In meiner Forschung spielen aber auch Bildfragen, welche nach einem grenzüberschreitenden Diskurs verlangen, weiterhin eine zentrale Rolle. Ein Beispiel dafür bietet die Präsenz der Bilder in den Religionen, die eine neue Aktualität gewonnen hat. Hier geht es um eine ganz eigene Form von Evidenz, die derzeit auch in den Religious Studies große Aufmerksamkeit findet. Ebenfalls in der religiösen Bildpraxis ist einmal die heute so umstrittene Kunstfrage formuliert worden und zwar zunächst als ein Argument der Unterscheidung. Hier begegnen sich Bildgeschichte und Kunstgeschichte im Zeitalter der Renaissance. Die Forschungsförderung durch den Balzan Preis bietet deshalb eine willkommene Chance, den wissenschaftlichen Nachwuchs in solche Themen einzubinden. Ich bin dankbar für das Vertrauen, welches das Preisverleihungskomitee mit dieser Wahl in meine Arbeit gesetzt hat.