Allemagne/Suisse
Prix Balzan 1990 pour les sciences de l’antiquité
Forschungen zu Religion und Geisteswelt der Griechen – Rome, 16.11.1990
Es ist noch immer ein Privileg der Geisteswissenschaften, dass der Forscher Selbständig seinen eigenen Interessen nachgehen kann, ja muss; geht es doch immer um Interpretation und Synthese, die nur von einem individuellen Standpunkt aus zu leisten sind, während der äußere Aufwand an Organisation und Ausstattung überschaubar bleibt. Und wenn für den an einer Universität Lehrenden der Bereich festgelegt ist, den er verantwortlich zu ‘vertreten’ hat, bleibt doch die Artikulation und die Schwerpunktsetzung ihm anheimgestellt. So hat ein Bericht über die eigene Forschung anlässlich jener Pause der Besinnung, zu der ein Balzan-Preis Anlass gibt, in erster Linie ein persönliches Itinerar nachzuzeichnen, ohne den Anspruch, über Materialien, Probleme, Methoden des Faches objektiv und enzyklopädisch Auskunft zu geben. Das mit solch persönlicher Ausrichtung der Geisteswissenschaften gegebene Risiko eines gewissen Solipsismus, so dass der Gelehrte nur noch in eigenen Gedankengängen sich im Kreise dreht, ist einzurechnen; doch zeigt sich, dass energisches Weiterfragen stets nicht nur weiterfuhrt in die realen und geistigen Welten hinein, sondern auch Kontakte schafft, für die im Übrigen im heutigen wissenschaftlichen Leben schon äußerlich überreich gesorgt ist.
Dass die Religionswissenschaft mein Haupt-Arbeitsfeld werden wurde, war nicht von vornherein absehbar. Viel früher war an sich die Faszination der Naturwissenschaften, der Physik und Zoologie fühlbar geworden. Wenn dann der Reiz der griechischen Sprache und Literatur, besonders Platons, die Studienwahl bestimmt hat, war damit zugleich ein lebhaftes Interesse an allgemeinen Fragen der Geschichte verbunden. Von den Lehrern an der Universität Erlangen führte Carl Koch in die römische Religionsgeschichte ein, während Otto Seel mit der Lebendigkeit literarischer Interpretation stets den Blick aufs ‘Anthropologische’ verband; einem Problem anthropologischen Verstehens galt die bei ihm 1955 abgeschlossene Dissertation Zum altgriechischen Mitleidsbegriff. Was eigentlich Geistesgeschichte sei und wie man sie betreiben könne, lehrten die Vorlesungen von Franz Schnabel in München.
Es war wohl ein persönlich empfundener Zwiespalt zwischen Phantasie und Rationalität, dazu die Verarbeitung einer im Pfarrhaus erfahrenen religiösen Erziehung, was die Spur der Interessen schließlich auf die Religionsgeschichte lenkte. Ein Titel, der als solcher schon faszinierte, war The Greeks and the Irrational, ein Buch von E.R. Dodds (1951); die Lektüre führte ein in den Bereich von ‘Schamanismus’, Reinigungsritualen, ‘Puritanismus’, Orphik und Ekstase; im Grund bin ich von diesen Bereichen nicht mehr losgekommen.
Die Habilitationsarbeit über den Pythagoreismus, die dann 1962 unter dem Titel Weisheit und Wissenschaft erschien, war die Leistung, die den Verbleib im akademischen Bereich zu sichern hatte; sie konnte aber in voller Freiheit entwickelt werden. Hier nun war es die Spannung zwischen der Entstehung der rationalen Mathematik und Naturwissenschaft und einer geheimnisvollen ‘schamanistischen’ Dimension des kaum fassbaren Meisters und Wundermannes Pythagoras, was am Phänomen des Pythagoreismus besonders fesselte. So war, denn ebenso die Geschichte der Religion wie der Naturwissenschaften zu durchmessen und ein Gutteil der Philosophiegeschichte aufzuarbeiten, insbesondere die Eigentümlichkeit von Stil und Denken der ersten griechischen Philosophen, der ‘Vorsokratiker’ am Beispiel des Philolaos zu fassen. Die paradoxe Einheit von Irrationalem und Rationalem schlicht zu statuieren, lehnte ich ab; vielmehr suchte ich die Zeugnisse in gut positivistischer Manier historisch zu ordnen. Ob die vorgeschlagenen Auseinanderfächerung von ‘Weisheit’ und ‘Wissenschaft’ das letzte Wort ist oder nicht, das Buch hat sich jedenfalls als solide Grundlage seither bewahrt.
Nach dem Abschluss dieser Arbeit war weitere Forschung frei wählbar geworden, ohne dass ein rasch absehbarer Abschluss gefordert war Damals nun trat, gleichsam in einer Rückwärtswendung vom Pythagoreismus aus, die Religion entschiedener in den Vordergrund. Wichtig war dabei die Verbindung mit Reinhold Merkelbach, der 1957-1962 in Erlangen lehrte. Sein kühnes Buch ‘Roman und Mysterium’ erschien eben 1962; es lenkte die Aufmerksamkeit auf das Problem von ‘Mythos und Ritual’. Damals konnte ich auch zum ersten Mal Unteritalien und Sizilien bereisen, sah die Tempel und Grabausstattungen, die apulischen Vasen in den Museen; ein unvergesslicher Eindruck war vor allem der Mysterienfries der Villa dei Misteri bei Pompei.
Das Thema ‘Mythos und Ritual’ schien sich zunächst in der Initiationsthematik zu erfüllen, den Ritualen des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsensein. Die erste Veröffentlichung dazu, über die athenischen Arrhephoria als Form der Mädchen-Initiation, -die vieles Angelo Brelich verdankte, erschien 1965. ‘Initiation’ war noch das Arbeitsprojekt, für das ich 1965/66 das Jahresstipendium am Center for Hellenic Studies in Washington erhielt. Mehr und mehr aber trat verdüsternd die Thematik des blutigen Opfers in den Vordergrund; die Gewaltszenen der griechischen Kunst wirkten dabei ebenso wie das vertiefte Studium von Homer und griechischer Tragödie – nunmehr in selbständigen Vorlesungen -; im Hintergrund wirkte die Diskussion um den Vietnamkrieg wie auch die Kampfansage der Studentenrevolution gegen die ‘repressive’ Gesellschaft. Im Bereich des eigenen Fachs erwies sich vor allem Karl Meulis große Studie über die griechischen Opferbrauche als wegweisend, die das sakrale Schlachten letztlich auf eine ‘Ehrfurcht vor dem Leben’ zurückführen konnte. Der Aufsatz Greek Tragedy and Sacriticial Ritual, als Vortrag in Oxford und USA ausgearbeitet, erschien 1966.
Die Beschäftigung mit Initiations- und Opferriten füllte insgesamt etwa 10 Jahre und mündete in das Buch Homo Necans, das 1972 herauskam. Dabei war, über die Anregungen von Dodds, Merkelbach, Meuli hinaus, vieles nachzuholen. Zu rezipieren waren vor allem die englischen Ritualisten, Robertson Smith, J.G. Frazer und Jane Harrison. Harrisons Buch Themis (1912) blieb in gewissen Sinn Vorbild und Herausforderung; Harrison wies auch schon den Weg zur Soziologie Durkheims einerseits, zu Freuds ‘Totem und Tabu’ andererseits.
Im deutschen Sprachbereich war durch die Isolierung der 30er- und 40er Jahre nur ganz wenig davon rezipiert worden; hier galt Martin Nilssons Diktum, seit 1906 sei « keine durchgreifende oder grundsätzliche Änderung der Methode und Richtung der Forschung » in der Religionswissenschaft eingetreten; obendrein stand eine selbstgenügsame Philologie dem Vergleichen jenseits des eigenen Fachs überhaupt ablehnend gegenüber. So war denn weder der Ansatz von ‘myth and ritual’, der im englischen Bereich zu einer ‘Schule’ geführt hatte, je konsequent durchgespielt worden, noch waren Prinzipien des soziologisch-anthropologischen Funktionalismus für die antike Religion durchdacht worden. Der psychoanalytische Zugang hatte lediglich in der Form der Jungschen Archetypenlehre eine gewisse Wirkung entfaltet und dies eigentlich nur im Werk Karl Kerényis, der doch vereinzelt blieb. So stand hier ein weites Feld der mannigfachen griechischen Mythen und Rituale einem neuartigen Zugriff offen.
Hinzu kamen dann weitere, die eigentlich modernen Anregungen: 1963 erschien das Buch Das sogenannte Bose von Konrad Lorenz und machte Furore. Es führte die neue Wissenschaft der vergleichenden Verhaltensforschung, der Ethologie, ins allgemeine Bewusstsein ein, es zeigte Wege auf, Anthropologie und Zoologie zu einer gemeinsamen Wissenschaft vom Leben zu vereinen, es zeigte insbesondere in den Transformationen der Aggression einen Weg, das ‘Bose’ der menschlichen Kultur zu verstehen und vielleicht zu bewältigen. Ein Begriff, der in der Ethologie die Transformationen des Verhaltens begleitete, war ‘Ritual’, eben jener in der Religionswissenschaft längst schon zentral gewordene Begriff: Er ließ sich nun gerade vom Biologischen her präziser als eine Art von Kommunikation begreifen, die doch, als Transformation von Handlungsprogrammen, die realen Ablaufe immer noch in sich spiegelt.
Die andere Erweiterung des Wissens kam aus der Prähistorie. Indem die Funde aus Afrika von Australopithecus bis Homo habilis allmählich an den Tag traten und diskutiert wurden, ließ sich nicht nur die Lücke zwischen dem Menschen und anderen Primaten historisch nahezu schließen, es trat als menschliche Besonderheit die Herstellung der Waffen und die organisierte Jagd in den Blick; eher düstere Beschreibungen vom Urmenschen als dein raubtierhaften Jager erregten Aufsehen.
Es ergab sich so die Chance zu einer Synthese, die die biologische Evolution, den soziologischen Funktionalismus und die Ethologie des Rituals zu vereinigen suchte, und zwar in der Erklärung des blutigen Opfers als einer sakralisierten Tat der Gewalt. Die Faszination von Tod und Toten tritt uns gewöhnlich in anderer Form entgegen, vom Kruzifix und Märtyrerbild in unseren Kirchen bis zum Tötungsaufruf eines Khomeini, aber auch bis zum underground der Brutalo-Videos. Weit verbreitet und ethnologisch wohl beschrieben sind Institutionen, die dem Mann erst auf Grund einer Tötungshandlung, als Jager oder Krieger, den vollen Platz in der Gesellschaft zuweisen. In der Alten Welt sind es die blutbespritzten Altäre, die wesentliches Kennzeichen des Heiligtums sind. Behauptet wurde in Homo Necans nun die Kontinuität einer Ritualtradition, in deren Zentrum das Tiere-Schlachten und -Essen steht, eine Tradition, die ihre praktische Funktion im Jägertum des Paläolithikums hatte, in der Transformation zum Ritual jedoch über die ‘neolithische Revolution’ hinaus die antiken Hochkulturen bestimmt hat und auch mit deren Untergang noch keineswegs ans Ende gelangt ist. Zur Praxis des ‘tötenden Menschen’ gehört dabei eine Ideologie mit rituellen Formulierungen und Mythen, die einen Bereich des Heiligen konstituiert, eine Welt von Göttern, zu deren ‘Ehre’ die blutige Handlung zu dienen hat; damit wird zugleich die Ordnung der Welt samt den sozialen Hierarchien fixiert. So zeigte sich die altgriechische Kultur im Paläolithischen verwurzelt. Ganz in den Hintergrund trat in dieser Sicht die Frage nach dem ‘Glauben’, der ‘Vorstellung’, der ‘primitiven Mentalität’; doch blieb, was sich beschreiben ließ zugleich psychologisch voll verständlich: Das Opfer als ein Drama von Angst: Tötungshemmung, Schuldgefühl und Bereitschaft der Wiedergutmachung – hier fi.ir hatte Karl Meuli die Richtung gewiesen, der dem stark und natürlich empfindenden Menschen die entscheidende Gestaltung der Rituale zutraute. Die soziale Funktion und damit der eigentliche Sinn der immer wieder veranstalteten Ablaufe wurde, nach der Anregung durch Konrad Lorenz, in der Begründung solidarischer Gemeinschaft durch Ausspielen von aggressivem Ritual gefunden.
Ob eine Synthese dieser Art überhaupt methodisch erlaubt und ‘heute noch’ möglich sei, steht dahin; im einzelnen ist gewiss vieles kritisierbar. Die seitherige Entwicklung hat einige Annahmen von Homo Necans in Frage gestellt oder widerlegt. So hat die vielfaltige Kritik an der Aggressionstheorie von Konrad Lorenz – die freilich auch ihrerseits nicht selten ideologisch befrachtet war – für das Modell der Solidarisierung durch Aggression wenig Raum gelassen. Dass schon Schimpansen jagen und Krieg führen, war in den 60er Jahren noch nicht bekannt geworden. Allgemeine Aussagen über ‘menschliche’ Reaktionen psychologischer Art sind problematisch, lasst sich doch wohl jede Verallgemeinerung durch Einzelbeispiele widerlegen. Weniger anfechtbar ist im engeren Bereich der Philologie die in dem Buch vorgeführte Methode einer strukturell vergleichenden Interpretation von vielerlei Mythen und rituellen Notizen, die Verstreutes und Bruchstückhaftes einzuordnen und so dem Verständnis zu erschließen gestattet. Die wissenschaftsethische Frage, inwieweit historische Studien über die Strukturen und Funktionen des Schrecklichen zur Befreiung, zur Emanzipation oder im Gegenteil zur Fixierung beitragen, ist wohl kaum lösbar. Dass den Humanwissenschaften die Neugier des Fragens zusteht, sollte jedenfalls nicht bestritten werden.
Bei aller Problematik darf festgehalten werden, dass das Buch Homo Necans einen neuen Problemhorizont aufgezeigt hat. Bewahrt hat sich schließlich doch das Wagnis, eine in sich begrenzte und traditionell abgeschlossene Disziplin wie die Klassische Philologie großzügig zu erweitern. Wie die philologisch greifbaren mythologischen Texte: Zur Realität tatsachlich vollzogener Rituale führen und diese wiederum in einem anthropologischen System ihren Sinn haben, sodass nur im Zusammenwirken der Wissenschaften das kulturelle Verständnis, einschließlich des humanen. Selbstverständnisses gefordert werden kann, dies impliziert zumindest ein interdisziplinares Programm, das auch Entlegenes und Vergangenes in einen aktuellen Zusammenhang stellt. Das Buch Homo Necans hat denn auch zwar nicht sofort, im Lauf der Zeit jedoch immer mehr seine Wirkung entfaltet.
Mit der Fertigstellung von Homo Necans hatte sich eine neue Herausforderung überschnitten, eine Griechische Religion in der Reihe ‘Religionen der Menschheit’ zu schreiben. Dies hat dann etwa fünf weitere Jahre in Anspruch genommen. In der Sicht des Autors galt es nun, unter Hintanstellung der eigenen Spezialinteressen die Phänomene allgemeiner fasslich darzustellen; tatsächlich hat die Gesamtdarstellung dann in ihrer größeren Verbreitung die neuartige Sicht der griechischen Religion erst in weitere Kreise getragen. Das Grundkonzept schien sich als tragfähig zu erweisen. Doch forderte der umfassende Anspruch vielseitige Ergänzung, ja nach Kräften Vollständigkeit in der Kenntnis der literarischen Quellen, der archäologischen Befunde, der Diskussionen. Die Anschauung der antiken Stätten und ihrer Ausgrabungen liess sich in diesen Jahren durch Reisen wesentlich erweitern. Eine besondere Aufgabe war das Eindringen in die bronzezeitlichen Kulturen und Religionen; sehr hilfreich waren meine Kollegen an der Universität Zürich, Ernst Risch fürs Mykenische, Peter Frei fürs Kleinasiatische und Altorientalische. Das Buch, dessen Manuskript 1976 abgeschlossen wurde, ist in seiner Art durch die Reihe, für die es entstand, gekennzeichnet: Kein Handbuch zum Nachschlagen, wie das von Nilsson verfasste, sondern als lesbare Darstellung konzipiert, und doch so reich und präzis wie möglich in den Detailinformationen, die unmittelbar an die Befunde der Quellen heranführen.
Wiederum in Überschneidung mit dieser Arbeit kam die Einladung zu Sather Lectures in Berkeley, California, die dann 1977 stattfanden – eine besondere Herausforderung für den Altertumswissenschaftler, ist doch die Vorlesungsserie mit der Aussicht, ja Verpflichtung zur Buchveröffentlichung gekoppelt. Der gewählte Titel, Structure and History in Greek Mythology and Ritual, zeigt an, dass eine einlässlichere Auseinandersetzung mit dem Strukturalismus intendiert war, der damals den Hohepunkt seines Einflusses erreicht hatte; persönliche Verbindung mit der ‘Schule von Paris’, mit Jean-Pierre Vernant, Marcel Detienne und Pierre Vidal-Naquet bestand seit 1970. De facto ist eher eine essayhafte Fortführung der Problematik von Homo Necans zustandegekommen: Wiederum bestand der Reiz für den Philologen darin, mannigfache, oft bruchstückhaft fassbare Erzähltraditionen als Variationen einer gemeinsamen Struktur zu erfassen. Mehr als in Homo Necans sind Probleme des Erzählens überhaupt im Blick, und weit mehr konnte das Altorientalische berücksichtigt werden.
Genauere Kenntnis der nahöstlichen Sprachen und Kulturen war ein alter Wunsch, der sich aber teils aus äußerlichen Gründen – weder Erlangen noch Zürich hatten altorientalische Abteilungen -, teils einfach aus Zeitmangel nur zögernd und teilweise verwirklichen liess. Aufmerksamkeit für die hier gegebenen Probleme von Kulturvergleich und Kulturaustausch bestand seit je. Auch in diesem Bereich hatte die Klassische Philologie jahrzehntelang sich selbstgenügsam abgeschottet. Die Veröffentlichung hethitischer Texte hatte seit 1945 zwar den Beweis für nahöstliche Quellen des Hesiod erbracht, doch war man meist geneigt die Kontakte vage in die Bronzezeit zurückzuverlegen. Nur Alfred Heubeck hatte energisch auf die frühe Eisenzeit hingewiesen. Nunmehr gewann wiederum die Archäologie eine bestimmende Rolle, Einzelbeobachtungen sammelten sich, eine gewisse Kenntnis orientalischer Sprachen, insbesondere des Akkadischen ließ sich erarbeiten. So konnte aus verschiedenen Entwürfen schließlich die zusammenfassende Abhandlung Die Orientalisierende Epoche hervorgehen, die in den Sitzungsberichten der Heidelberger Akademie 1984 erschienen ist. Sie versucht, in den konkreten historischen Zusammenhangen des 8./7. Jahrhunderts die revolutionäre Entfaltung der griechischen Kultur vom Kulturkontakt her verständlich zu machen. Vor allem das Problem Homer rückt damit in ein neues Licht. ‘Der Wissenschaft’ war vieles an Faktenwissen seit langem bekannt, doch brachten Neueditionen orientalischer Quellen auch immer wieder Überraschungen: Die Freude des Entdeckens stellt sich immer wieder ein und belohnt die Anstrengungen des Lernens und der Gesprächsbereitschaft, deren es bedarf, um üblicherweise getrennte Fächer zusammenzubringen. Das eigentlich eher als ketzerisch anzusehende Unternehmen, den Einbruch des ‘Orients’ ins Abendländisch-Griechische darzustellen, hat dann unerwartet viel Zustimmung und Interesse gefunden und kaum prinzipielle Kritik. Neue Vorstöße und Entdeckungen sind in diesem Bereich ohne Zweifel noch möglich, die Arbeit in dieser Richtung nimmt in den letzten Jahren deutlich zu.
Mein Buch über Mysterien (1987) – eine Reihe von Jackson Lectures an der Harvard University – entsprach wiederum einer von aussen kommenden Herausforderung. Vorgetragen werden wiederum soziologisch-systematische Überlegungen, wobei aber an Stelle der solidarischen Riten die Einzelleistungen und Einzelinteressen der ‘Charismatiker’ in den Brennpunkt gerückt werden. Mehr als in den anderen Veröffentlichungen streift der Blick bis in die Spätantike. Dabei werden in philologischer Puzzlearbeit möglichst viele Textzeugnisse über das Mysterienerlebnis vorgestellt und die antiken, besonders die allegorischen Interpretationen ihrerseits interpretiert.
Die letzte, wiederum von aussen gekommene Herausforderung waren Gifford Lectures in St. Andrews, Schottland, im Jahr 1989. Nach dem Willen des Stifters sollen sie der ‘Natural Theology’ gelten; ich nahm es zum Anlass, die Problematik von Biologie und Religion, die seit der Begegnung mit Konrad Lorenz aufgeworfen war, noch einmal anzugehen. So wurde zum Titel der Vorlesungsreihe Tracks of Biology and the Creation of Sense gewählt. Biologisch fassbare Ablaufe und Strukturen sollen mit religiöser Praxis konfrontiert werden, von der Bereitschaft, in der Situation von Verfolgung und Panik etwas aufzugeben und wegzuwerfen, bis zum Aufbau absoluter Hierarchien. Als entscheidende Modifizierung erweist sich dabei immer wieder die spezifisch menschliche Form der Kommunikation durch Sprache, die doch gerade im religiösen Bereich sich als nicht autark und hinlänglich erweist: Die Beibehaltung des Rituals oder die Regression ins Ritual wird immer wieder entscheidend, sodass die ‘Spur des Biologischen’ erkennbar bleibt.
Bei so in die Breite gewachsenen Forschungen kommt die Begrenztheit des individuell Leistbaren immer wieder schmerzlich zum Bewusstsein. Die internationale Praxis der Symposien und Kongresse liefert Anregungen in Fülle und setzt dabei jeweils befristete Aufgaben, die zu Einzelleistungen anspornen, aber insgesamt eher Stillstand zu bewirken drohen. Inwieweit künftig Zusammenarbeit neben dem Wettbewerb in den Geisteswissenschaften zustandekommen wird, inwieweit die jetzt allgemein ins Kraut schiessende Computerisierung dabei hilfreich sein wird, steht dahin.
Ich ende mit dem Bekenntnis zum individuellen Weg. Ich habe jetzt nicht ein grosses Forschungsprogramm der Altertumswissenschaft in neuen Bereichen und/oder mit durchschlagend neuen Methoden zu verkünden. Die Altertumswissenschaft ist im akademischen Bereich wohl organisiert und weltweit durchaus im Gang, solange ihr ihre – relativ bescheidenen – Mittel gesichert bleiben. Ich glaube aber gezeigt zu haben, dass die intensive Arbeit am einzelnen nach allen Seiten offen sein muss und eben dadurch Interesse weckt, dass sie aus Interesse an der Sache betrieben wird. Geist bedeutet, dass das Ganze sich im einzelnen spiegelt; nur so wird Geisteswissenschaft möglich bleiben.